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Selbstbestimmung vs. Aufsichtspflicht - Lebenshilfe Tirol erzielt richtungsweisendes OGH-Urteil.

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Nach einem Unfall eines Mannes mit kognitiver Behinderung beim Überqueren einer Straße, wurde die Lebenshilfe von der Autofahrerin auf Schadenersatz geklagt worden. Sie vermutete eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Die Lebenshilfe war damals dem Wunsch des Klienten, allein in ein bestimmtes Geschäft einkaufen zu gehen nachgekommen, hatte den Schritt gut vorbereitet und den Weg monatelang mit ihm trainiert. Über lange Zeit funktionierte dies, bis zum Tag des Unfalls, auch einwandfrei.

Der OGH hat nach einem langen Rechtsstreit nun ein Grundsatzurteil gefällt. Er stellt darin fest, dass die Assistenz nicht mit einer Aufsichtspflicht einhergeht. Volljährige Menschen mit Behinderungen müssen und sollen also nicht grundsätzlich rund um die Uhr „beaufsichtigt“ werden, weil das in klarem Widerspruch zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung steht.

Der OGH verweist in seinem Urteil auch dezidiert auf die UN-Behindertenrechtskonvention, in der die Achtung der individuellen Autonomie von Menschen mit Behinderungen und das Recht auf selbstbestimmtes Leben verbrieft sind.

"Dieses Grundsatzurteil ist ein wegweisendes Signal für Menschen mit Behinderungen: Ihre Selbstbestimmung und Teilhabe an der Gesellschaft sind Menschenrechte, die nun auch in der österreichischen Rechtsprechung verankert sind.", so Georg Willeit, Geschäftsführer der Lebenshilfe Tirol.

"Darüber hinaus ist es ein juristischer Meilenstein für alle anderen Organisationen in Österreich, die Menschen mit Behinderungen begleiten: Laut OGH haben sie nicht die Aufgabe, sämtliche Risiken von Dritten auszuschließen, denn das ginge auf Kosten der Selbstbestimmung und der Freiheitsrechte eines volljährigen Menschen mit Behinderungen," bringt es Philippe Narval, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, auf den Punkt.

Lesen Sie mehr dazu:
Lebenshilfe Tirol | Streitfall Aufsichtspflicht
ORF Tirol: OGH-Urteil stärkt Autonomie Behinderter
Tiroler Tageszeitung: Alleine einkaufen gehen: OGH-Urteil stärkt Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung
DER STANDARD: Erwachsene Menschen mit Behinderung dürfen allein über die Straße gehen